24.10.2019
Azubi-Ticket: „Unsere ländliche Region profitiert nicht“
Kreishandwerkerschaft und IHK präsentieren Umfrageergebnisse
Kreis Siegen-Wittgenstein/ Kreis Olpe. Mit der Einführung des Azubi-Tickets im August 2019 ging ein lang gehegter Wunsch von Handwerk und Industrie in Erfüllung. Nun sollten auch Auszubildende die Möglichkeit bekommen, günstig mit dem ÖPNV zur Arbeit zu kommen. Die Kreishandwerkerschaft Westfalen-Süd und die IHK Siegen haben nun ihre Betriebe befragt, wie das Ticket bisher angenommen wurde.
Endlich sollte es nicht nur für Studenten ein attraktives Angebot geben, um den öffentlichen Personennahverkehr zu nutzen. Dafür hatten sich die Vertreter von Handwerk und Industrie lange eingesetzt, um auch für Auszubildende eine gute Möglichkeit zu schaffen, kostengünstig zum Ausbildungsbetrieb und zur Berufsschule zu fahren. Das im August 2019 eingeführte Azubi-Ticket ermöglicht Auszubildenden nun, für 62€ im Monat den regionalen öffentlichen Personennahverkehr zu nutzen. Das „Upgrade“, das auf Wunsch hinzugebucht werden kann, bietet sogar die Möglichkeit, für monatliche Kosten von 82€ mit Bus und Bahn NRW-weit zu fahren. Die Ausbildungsbetriebe stehen diesem Instrument positiv gegenüber und 43% sind bereit, sich an den Kosten für das Ticket zu beteiligen. Klaus Gräbener, Haupt-Geschäftsführer der IHK Siegen, betont: „Viele Betriebe zahlen erfahrungsgemäß ohnehin bereits Fahrtkostenzuschüsse oder bieten andere Vergünstigungen an, um etwa Belastungen der Auszubildenden abzufedern.“
Ländlicher Raum durch mangelnde Strecken und zu geringe Taktung im Nachteil
An der gemeinsamen Umfrage der Kreishandwerkerschaft Westfalen-Süd und der IHK Siegen haben 212 Industrie- und Handwerksbetriebe aus den Kreisen Siegen-Wittgenstein und Olpe teilgenommen. Das Ergebnis zeigt: Zwar gibt es bei den Auszubildenden Interesse (32%) an dem Ticket, die Nutzung scheitert aber in der Realität am mangelnden Streckenausbau und zu geringer Taktung. Die Nutzung des ÖPNV sei im ländlichen Raum oftmals mit schlechter Erreichbarkeit, unzureichender zeitlicher Abdeckung sowie langen Wartezeiten verbunden. Insbesondere in Gewerken wie beispielsweise dem Bäckerhandwerk mit nächtlich beginnender Arbeitszeit sei die mangelnde Taktung ein Problem und der ÖPNV faktisch nicht nutzbar. Ebenso sei es in unserer gewerblich-technisch geprägten Region bei vielen Auszubildenden, deren Schicht um 6.00 Uhr morgens beginnt, fügt Klaus Fenster, Leiter des Geschäftsbereiches Berufliche Bildung bei der IHK, hinzu. „Hier schlagen die strukturellen Nachteile eines eher ländlich geprägten Wirtschaftsraumes durch. Was hilft ein preislich attraktives Angebot, wenn der Auszubildende nicht von A nach B kommt? Es läuft ins Leere“, schlussfolgert Jürgen Haßler, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Westfalen-Süd. Nach Meinung von Klaus Gräbener werde hier der zweite vor dem ersten Schritt getan. Zunächst müssten die bestehenden Defizite bei der Anbindung in unserer Region behoben werden. „Die ärgerliche Folge ist, dass so die Landesförderung für das Azubi-Ticket weitestgehend in die Metropolen im Rhein- und Ruhrgebiet fließt und der ländliche Raum mit Blick auf den Nutzen einmal mehr leer ausgeht.“ Das Land NRW fördert das verbundweite Ticket in Westfalen 2019 und 2020 mit 6,5 Mio. € sowie das „NRWupgrade“-Ticket im selben Zeitraum mit knapp 7 Mio. €.
Nachfrage bei Auszubildenden bisher gering
Nach aktuellem Stand wurden bisher 700 Azubi-Tickets an Auszubildende in der Region ausgegeben. Davon nutzt rund ein Drittel auch das NRWupgrade. Insgesamt seien aber 10.000 Auszubildende ticketberechtigt. Somit nutzen gerade einmal 7% der Auszubildenden das Angebot. Ob das Ticket wirklich für die tägliche Fahrt zum Ausbildungsbetrieb oder zur Berufsschule genutzt wird oder nur im privaten Bereich, wurde nicht abgefragt. Von 72% der Befragten wurde angegeben, mit dem eigenen Fahrzeug (Auto, Roller, Mofa) zum Betriebsort zu gelangen. Nur knapp 16% der befragten Betriebe gab an, dass hierfür das bestehende ÖPNV-Angebot genutzt würde. 7% greifen auf Mitfahrgelegenheiten zurück und 1,4% fahren mit dem Fahrrad zum Unternehmen. Nach Meinung der Betriebe sei das ÖPNV-Angebot überwiegend für minderjährige Auszubildende ohne eigenes Fahrzeug interessant. Sobald die jungen Menschen dann einen Führerschein und die Möglichkeit eines eigenen Fahrzeugs hätten, werde dies auch genutzt. Ob das politische Ziel, Auszubildenden nicht nur eine preislich attraktive Mobilitätsmöglichkeit zu bieten, sondern auch dazu zu bringen, vermehrt den ÖPNV zu nutzen, überhaupt erreicht werden kann, bezweifelt Jürgen Haßler: „Mit dem Ticket alleine lässt sich die Grundhaltung junger Menschen, lieber mit dem eigenen PKW zu fahren, vermutlich nur schwer verändern. Das Ticket und die damit verbundenen Mehrwerte, wie etwa die landesweite Gültigkeit für einen geringen Aufpreis, kommen in unserem Wirtschaftsraum faktisch bei der Zielgruppe nicht an. Es fehlen die grundlegenden Voraussetzungen.“
Ausbildungsqualität zählt mehr als der Standort
Obwohl sich die Umfrageergebnisse bei Handwerksbetrieben und den Industrie-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen in ihrer Grundtendenz nicht unterscheiden, weichen sie in ihrer Intensität teilweise voneinander ab. Während bei den 168 befragten IHK-Betrieben nur 13% den ÖPNV für die Fahrt zur Ausbildungsstelle nutzen, so sind es bei den Handwerksbetrieben bereits 25%. In diesem Unterschied wird deutlich, dass sich viele Handwerksbetriebe in zentraler gelegenen Gebieten – oft in Siedlungsnähe – befinden, die bereits heute besser an das ÖPNV-Netz angebunden sind als peripher gelegene Industrie- und Gewerbegebiete. Trotzdem glaubt mehr als die Hälfte der befragten Geschäftsleitungen nicht, dass das Ticket geeignet sei, um die Attraktivität des Unternehmens in Augen der Nachwuchskräfte zu steigern. Begründet wird dies unter anderem damit, dass Fahrtkosten für die jungen Menschen häufig keine Rolle bei der Entscheidung für oder gegen einen Betrieb spielten. Viel entscheidender sei beispielsweise die Ausbildungsqualität.
Fazit
Obwohl es noch zu früh ist, die Annahme abschließend genau zu beurteilen, so überwiegt knapp drei Monate nach dem Start des Azubi-Tickets die Skepsis bei Kreishandwerkerschaft, IHK und den Betrieben. Jürgen Haßler fasst zusammen: „Wenn eine stärkere Nutzung von Bus und Bahn politisch gewollt ist, führt der Weg zum Erfolg des Azubi-Tickets im heimischen Wirtschaftsraum nur über eine Verdichtung des Streckenangebots und über höheren Takt. Bleibt der Ausbau aus, läuft das Ticket Gefahr, ein dauerhaftes Schattendasein zu fristen. Die Chance wäre vertan.“